Morbides Vergnügen

Ich habe ein morbides Vergnügen am Leben. Jede Faser meines Körpers, meiner Sinne, meines Geistes schreien nach Leben. Jeder Tag ist wie ein neues Wunder. Ich lache der Sonne ins Gesicht und strahle mit dem Mond um die Wette. Ich hacke mir einen Finger ab, um den Schmerz zu genießen und zu wissen - ich lebe. Begegnet mir der Tod, reiße ich mir die Augen raus um nicht in das tiefe, dunkle Antlitz der Endlosigkeit sehen zu müssen. Ich gehe auf Friedhöfe und grabe die Toten aus, lege meine Lippen auf die ihren und hauche ihnen wieder Leben ein. Ich springe den Lemmingen hinterher und rette jeden einzelnen vor dem Ertrinken. Ich vernichte alles, was vernichtet. Ich gebe dem Alten vom Jungbrunnen zu trinken und speise die Verhungernden. Ich halte die Zeit an, um die Eintagsfliege zu retten und kitzle den Suizidgefährdeten bis dicke Tränen des Lachens an seinen Wangen wie Sturzbäche herablaufen. Ich verbiege das Schwert des Harakirimanns und lande die Maschine des Kamikazepiloten. Ich besänftige Naturkatastrophen und zapfe der Klapperschlange das Gift ab.

Sollte mich der Tod eines Tages heimsuchen, werde ich mich nicht kampflos ergeben. Ich werde mich an seine Schultern hängen und mit ihm Tanzen. Ich werde mich mit ihm winden und drehen, bis ihm schwindlig wird. Die Polonaise des Todes werde ich mit ihm Tanzen. Ich werde mich am Höllenfeuer entzünden und in jeden Winkel springen um die Dunkelheit zu verulken. Im Tod werde ich intensiv leben, soviel steht fest ....

von Michael Kassfeld

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