DIE CUBA-LIBRE-TOUR
oder
"HASTA LA VICTORIA SIEMPRE"

Ernesto CHE Guevara   

Meine Selbstmordgeschichte liegt nun über vier Jahre zurück. Das ist erledigt.
Im Jahr darauf habe ich in Holland geurlaubt und danach auf Island. Nun muss ich wieder raus!
Raus raus raus, ganz weit fort.
Nach Russland will ich wegen der Mafia nicht, und mit Afrika habe ich mich noch nicht intensiv genug beschäftigt. So habe ich mir in diesem Sommer ein spanisches Wörterbuch gekauft und bin in die Karibik nach Kuba geflogen.
Wir schreiben den 12. Oktober 1999.
Was im Flugzeug so abgegangen ist, könnt ihr in einem Gedicht in meinen UNMASKIERTEN VERSEN nachlesen. Jetzt habe ich gerade den Zoll passiert und muss schleunigst erst mal die Toilette aufsuchen.
Ich triefe aus allen Poren.
Das Wasserlassen war dringend notwendig, es hat gut getan.
Carin steht sich noch immer die Beine bei der Zollabfertigung krumm. Was soll dieser Scheiß?
"Eih, Baby was'n los? Wann kommst du endlich?"
Sie hat ihre Sonnenbrille hoch ins Haar geflochten und zuckt nur mit den Schultern. Carin lächelt.
"Was meinst du, was hier los ist! Du hast mir doch im Flugzeug dein LIEBE, LUST & LASTER geschenkt. Ich hatte das Buch oben drauf in meine Tasche gelegt und die Kubaner denken, dass ich Pornos oder so was einführe."
"Mist."
Die Zollbeamten räumen ihre Tasche rigoros aus. Kosmetika, Kugelschreiber, Lippenstifte,
Seife, Eau de Toilette - HERITAGE und noch so andere Mitbringsel. Alles liegt nun verstreut auf dem Tisch. Die anderen Passagiere glotzen blöde. Sie schubsen und drängeln.
"Du, mein Bus nach Havanna steht schon draußen und wartet nicht mehr lange."
"Fahr los, Rainer. Wir seh'n uns dann in zwei Wochen wieder."
"Wo?"
"Na hier, in Varadero an der Flughafenbar."
Ich drücke ihr noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange, quetsche mich in den Bus und habe mächtig viel Durst.
Die alten Schrottkarren, die am Busdepot stehen, und die herumlungernden Kubaner interessieren mich in diesem Moment herzlich wenig. Hoffentlich sind wir bald endlich in Havanna.
Die Straße führt am Meer entlang, wo verrostete Pumpen im Sand Erdöl aus der Tiefe fördern. Einöde. Schließlich rasten wir kurz.
Ich trinke meinen ersten Cuba-Libre und lese auf einem Plakat: SOCIALISMO O MUERTE!
Denkt nicht, dass ich nach Sozialismus Sehnsucht habe!. Vierzig Jahre in der Ehemaligen waren schließlich auch für mich genug! Meine Gründe hierher zu fliegen sind ganz andere, doch dazu später.
Am frühen Abend erreichen wir dann endlich das magische La Habana, und so ist sie auch, die Stadt: feminin.
So ziemlich erschöpft knalle ich im Hotel Plaza meinen Koffer aufs Bett, dusche rasch und prominiere etwas durch die Altstadt.
Hin und wieder flackert das Licht oder geht ganz aus - Stromsperre.
Rumba Rhythmen kitzeln mein Ohr, warme Luft streicht über die Haut. In Hemingways Bar

La Bodeguita del Medio fange auch ich an, meine Leber zu ruinieren...

Eigentlich sollte ich für eine Zeitung einen Bericht über meine Kubareise schreiben. Mein ISLAND-TAGEBUCH vor einem Jahr war mir ganz gut gelungen, und so hatte ein anderes Blatt aus unserer Region mal ganz vorsichtig bei mir angefragt. Vielleicht? Doch wie ich mich kenne, wird mir auf Kuba zum Schreiben wenig Zeit bleiben.
Was ich die nächsten Tage so von Havanna zu sehen bekomme, reißt mich echt nicht vom Hocker. Das Übliche halt, womit die Kubaner ihre Touristen satt füttern:
Plaza de la Catedral - Museo de la Revolucion - Calle Obispo, um nur einiges zu nennen, und natürlich Papas Kneipen.
Mir gehören da mehr die Abende, die Frauen und der hervorragende Rum.
Tags darauf steht auf unserem Programm eine Busfahrt in die westliche Provinz Pinar del Rio.
Wir sitzen in der Vorhalle im Hotel und warten auf den Bus. Draußen gießt es wie aus Kannen. Ich setze mich an die Bar, trinke einen Freies Cuba und warte genau so wie die anderen aus meiner Reisegesellschaft.
Gegen 11.30 Uhr kommt schließlich Armando, unser Reiseführer.
"Tut mir Leid, Leute, aber wir müssen die Ausfahrt auf morgen verschieben. Von Westen her
nähert sich ganz schnell der Hurrikan IRENE und nach Möglichkeit sollte keiner von euch das Hotel verlassen."
Ein Murren und Raunen setzt ein. Die meisten, fast nur Frauen, bombardieren Armando mit blödsinnigen Fragen.
Ich bezahle meine Zeche und will aus dem Hotel verschwinden. Da verstellt mir doch gar einer von der Miliz den Weg! Ich schiebe den Jungen sanft zur Seite und gelange nach draußen.
Das Wasser steht knöcheltief. Ich muss nur über die Straße kommen, doch plötzlich erfaßt mich ein kräftiger Windstoß und klatscht mich an eine Hauswand. Auf der anderen Straßenseite gehe ich durch Arkaden, renne an Hems Bar El Floridita vorbei und verkrieche mich in der Aragozana Bar.
Hier ist die Theke sehr lang und ich bin fast allein. Noch pudelnass bestelle ich mir gleich BUCANERO Fuerte, ein Bier mit einem Alkoholgehalt von 5,4%.
Die Bar ist gut. Ich starre in ein verzerrtes TV-Bild, beschmiere gelbes Papier mit Versen und schlage hier die Stunden tot.
Ein Mann in der Fremde braucht nicht viel. Wenn der Barmann in Ordnung ist und mich nicht links liegen lässt, bin ich zufrieden.
Ist das zuviel verlangt?
IRENE kann nun ruhig in Havanna einmarschieren, in der Aragozana gibt es genügend zum Saufen...

So gegen Abend ist dann aber alles wieder friedlich. Ich habe mal zwischendurch so an die zwei Stunden gepennt und mir eine Kneipe ganz in der Nähe des Hotels gesucht.
Hier lerne ich Roberto kennen. Roberto ist ein weißer Kubaner und raucht stramme Zigarren.
Mit Sicherheit hat er die Fünfzig schon überschritten. Er sitzt gekrümmt auf dem Stuhl und spuckt ab und zu mal auf den gekachelten Fußboden.
"Shit!"
"Wie sieht es aus mit Mädchen?"
Verbal verstehen wir beide uns überhaupt nicht. Ich spreche kein Spanisch und Roberto kein Deutsch oder Englisch, aber irgendwie mache ich ihm verständlich, was ich will.
Nach wenigen Minuten steht ein schwarzer Hüne an unserem Tisch und wir brechen alle gemeinsam auf.


Der Kerl hat echt 'ne Statur wie Teofilo Stevenson; der läuft sogar wie ein Boxer -
geschmeidig, katzenhaft, leicht tänzelnd.
Im Treppenhaus brennt kein Licht. Ich leuchte mir mit meinem Feuerzeug. Wir steigen zwei Etagen hoch. Dann endlich schimmert Licht.
15 Dollar für eine Stunde hätten die Herren gern. Mit der rechten flachen Hand schlägt der Neger auf die Faust seiner Linken.
"O. K."
Und wieder dauert es nur eine Zigarettenlänge, und schon schieben sie mir eine Kakaobraune ins Zimmer. Die hat dickwülstige Lippen und trägt dünne Seidenstrümpfe. Leicht geschminkt ist sie auch noch. Wir trinken Büchsenbier, doch mit der komme ich nicht so recht in Fahrt. Sie holt mir einen runter, das war's...

Am nächsten Tag fahren wir dann schließlich in das Tabaktal.
IRENE hat ganz schön gewütet, auch in Havanna liegen umgeknickte Bäume und in den Vororten sehe ich zerstörte Blechhütten. Es soll sogar fünf Tote gegeben haben!
In der Provinz Pinar del Rio besuchen wir eine Tabakfabrik. Vor den Arbeiterinnen liegen kleine Blechdosen. Es riecht nach Tabak, nach Arbeit und Schweiß - und schlechtem Lohn!
Sie fressen mich mit ihren Bettelaugen auf, ich flüchte nach draußen! Doch hier stehen ihre Kinder mit ungewaschenen Händen und zupfen am Hemd, das aus der Hose hängt...
Wenig später fahren wir nach Vinales und mit einem Boot durch die Grotte "Cueva del Indio", die erst 1920 entdeckt wurde und nehmen neben einer von Indios bemalten Felswand unsere Mahlzeit ein.
"Guantanamera", dieser weltberühmte Evergreen von Jose Marti wird hier total über- strapaziert!.
Tengo dolor de cabeza, ich habe Kopfschmerzen!
Der Tag endet bei mir wie üblich mit genügend Cuba-Libre...

Da ich von Kuba wenigsten etwas sehen wollte, hatte ich den Rundreise-Trip durch den Westen gewählt.
So geht es weiter nach Guama, wo wir eine Krokodilfarm und dann das auf Pfahlbauten errichtete indianische Dorf besuchen. Auch hier steht noch alles unter Wasser, aber das Essen und der Rum sind, wie überall im Land, ausgezeichnet.
Mit Armando und unserem Busfahrer schließe ich ein stilles Abkommen: Egal wo wir auch sind, ob in Cienfuegos, Trinidad oder Santa Clara: Der Busfahrer schnappt sich meinen Koffer, und ich ziehe sofort an die Bar...

Der eigentliche Höhepunkt meiner Rundreise sollte Hemingways Museum sein, aber da der Hurrikan auch hier zu sehr getobt hat, stehen wir nur vor verschlossenen Toren.
Armando hat sich dafür mehrmals entschuldigt, doch für diese Naturkatastrophe sollte wohl ein jeder von uns Verständnis aufbringen.
Mit dem Denkmal und dem Museum für Ernesto CHE Guevara in Santa Clara bin ich aber dafür restlos entschädigt worden.
Ich verziehe mich in eine Ecke und denke an Jose Martis Zitat: "Das beste Wort ist die Tat."
CHE Guevara hat mit seiner Denk- und Lebensart so einiges in mir in Bewegung gesetzt...

Nun folgen noch acht Tage Erholung an Varaderos Sonnenstrand. Die habe ich auch bitter nötig, und meine Reisegruppe wird froh sein, dass sie im Bus meine Rumfahne nicht mehr ertragen muss.


Ich campiere in einem Bungalow, der zum Hotel Cuatro Palmas gehört. Der Strand ist so, wie es das Prospekt verspricht: traumhaft schön, aber noch besser sind die vielen kleinen Getränkebars und die Hurenmeile, deren Beginn ich am Abend vor meinem Hotel entdecke. Frühstück - Cuba libre - schwimmen und mächtig viel Bräune haschen.
Als Einzelkämpfer bin ich andauernd unterwegs, trinke hier mal was und reiße am Abend manchmal eine von Castros Huren auf.
Dann läuft mir Anna Romero, eine blutjunge Studentin aus Mandanzas übern Weg.
Anna hat echt Stil und benötigt die "verdiente" Kohle zum Studieren. Mit den Händen macht sie mir klar, dass es ihr selbst an Schreibutensilien mangelt...
In irgendeiner Bruchbude machen wir es, zweimal.
Eine Neonröhre flackert, überm Bett hängt das Bild von Camilo Cienfuegos. Er trägt die grüne Uniform und Stiefel, wir beide tragen nichts.
Ciao Anna, bis Domingo, Sonntag...

Wieder ertappe ich mich bei dem Gedanken, etwas über Kuba schreiben zu müssen. Schreiben ist eine Sucht! Wenn du nicht sofort das Geschehene notierst, kannst du es später eh nur verschwommen wieder geben.
Der süße Rum, die dicken Havannas und die schönen Frauen können jedoch diese Sucht besiegen.
So lebe ich hier bis zum Tag meiner Abreise und lerne in den letzten Tagen noch eine nette Familie aus Kleinzschachwitz kennen.
Landsleute! Das tut herrlich gut!
Und der Rainer und die Bärbel und ich trinken schon seit dem Frühstück, und dann ruft mich einer aus unserer Reisegruppe:
"In einer halben Stunde fährt der Bus!"

Adios!
Ich schmeiße meine Klamotten in den Koffer, stürze wie von der Tarantel gestochen durch das Flughafengebäude in Varadero und entdecke schließlich - Carin.
Von hinten, nur an ihrem geschmeidigen Gang, erkenne ich sie.
Zum Geldwechseln komme ich nicht mehr. Carin bezahlt mir Fritten mit 'Chicken und noch ein paar Cuba libre; am nächsten Mittag hat mich dann "mein" Stemmen wieder.
Ich öffne den Koffer - alles riecht verseucht nach Rum.
Rum Rum Rum.
Eine Pulle ist fast total ausgelaufen und hat meine Klamotten durchtränkt.
Ich trinke den Rest aus der Flasche und versuche mich zu erinnern:
Wollte ich nicht über Kuba einen Reisebericht schreiben?

Literatur dieser Art gibt es doch schon genug! Meine Tagesabläufe wären eh nichts für ein stinknormales Zeitungsblatt hier, in meinen Gefilden, wo man noch den Mond mit der Stange schiebt und ich aus manchen Gedichten etwas Dampf heraus nehmen soll, "weil's doch zu unanständig klingt..."!
Die hier sind zwar nicht erzkatholisch, aber halt so ein bissel verklemmt, wenn ihr versteht, was ich meine.
So beschränke ich also den Bericht über meine Cuba-Libre-Tour auf wenige Gedichte und diese Kurzfassung hier, damit man mir später mal keine Lügen in meine Biographie rein schmiert...

PS: Wer aufmerksam zwischen den Zeilen liest, kann ohnehin so allerhand herauslesen!

Auf Kuba reifte in mir der Entschluss, mich noch näher mit der Person CHE Guevaras zu beschäftigen. Ich wollte CHE hautnah sein!
Verrückt?! Bin ich echt schon kirre? Das macht wohl das Alter - oder der Suff!
So habe ich mir einen hellbraunen Lederwimpel mit seinem Porträt gekauft. Der hängt nun schräg über meiner Couch. Wenn ich nüchtern bin, glotze ich ihn an, wenn ich besoffen bin, auch. Immer wieder fasziniert mich sein kämpferischer Blick!
Klar kenne ich auch verschiedene Sprüche über Idole.
Wer Vorbilder hat, kann selbst nur Imitation sein.
Doch wisst ihr, das Hasta la Victoria Siempre, also IMMER VORWÄRTS BIS ZUM SIEG, von CHE, ist eine echte Herausforderung - egal was du machst, Mensch!
Meinen Sieg möchte ich auf der literarischen Ebene erreichen, und so habe ich am Vorweihnachtstag 2000 so ca. zwei Stunden lang meinen linken Arm ganz still gehalten und mir CHE's Porträt, das Bild mit der Baskenmütze und dem roten Stern, das Bild, das um die Welt ging und nach Befreiung schreit, darauf tätowieren lassen!
Jetzt salbe ich es am Tag so zwei- bis dreimal dünn ein, und im nächsten Sommer könnt ihr mich dann an "meinem" See, dem STEMMER, daran erkennen...

Nun leckt mich am Arsch, denn mein Wein ist alle und übermorgen ist Sylvester!

R.J..H. Dezember WC

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